Legal Tech: Was bedeutet das und was ist erlaubt?

29.11.2022, Redaktion Anwalt-Suchservice / Lesedauer ca. 6 Min. (672 mal gelesen)
Legal-Tech,Mietsenkung,Rechtsdienstleistung,Inkasso Recht per Algorithmus: Was dürfen Legal-Tech-Anbieter? © Bu - Anwalt-Suchservice

So manches rechtliche Problem lässt sich heute standardisieren. Immer mehr Anbieter bieten online Standardlösungen an – ganz ohne Gang zum Anwalt. Bis vor den BGH wird darüber gestritten, ob dies erlaubt ist.

"Legal-Tech" ist ein Sammelbegriff für alle Software- und Online-Lösungen, die mit der Lösung juristischer Sachverhalte und Fragen zu tun haben. Teilweise handelt es sich dabei um Produkte, die Rechtsanwälten ihre Arbeit erleichtern – etwa eine moderne Kanzleisoftware. Der Begriff wird aber auch für Internetportale verwendet, die ihrerseits Verbrauchern Lösungen für häufig vorkommende Rechtsprobleme anbieten - und zwar häufig ohne Teilnahme eines Rechtsanwalts. Einige der Geschäftsmodelle sind umstritten. In Deutschland ist die Rechtsberatung nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz den Anwälten vorbehalten. Der Bundesgerichtshof hat dazu mittlerweile schon mehrfach entschieden.

Womit beschäftigen sich Legal-Tech-Portale?


Verschiedene rechtliche Alltagsprobleme wiederholen sich immer wieder in ähnlicher Form. Ihre rechtliche Lösung hängt meist von den gleichen, immer wiederkehrenden Voraussetzungen ab. Manchmal geht es dabei nur um Zahlen, etwa die Überschreitung gewisser Grenzen bei Geldbeträgen. Da liegt es nahe, einen Algorithmus zu entwickeln, der aufgrund weniger Angaben auf einem Online-Formular den Fall prüft. So arbeiten einige Legal-Tech-Anbieter, die Verbrauchern die Lösung ihrer Rechtsprobleme in bestimmten Fällen ohne Rechtsanwalt anbieten. Anfangs ging es dabei um die Entschädigung für Flugverspätungen nach der EU-Fluggastrechteverordnung. Nicht überraschend: Wenn hier die Grundvoraussetzungen feststehen, ist der Fall klar. Dann haben Fluggesellschaften wenig Chancen, Forderungen nach einer Entschädigung abzuwehren, deren Höhe gesetzlich geregelt ist.

Wie arbeiten die Legal-Tech-Anbieter?


Dabei gibt es verschiedene Varianten. Zum Teil setzen die Legal-Tech-Unternehmen nach einer automatisierten Prüfung den Anspruch des Kunden gegenüber dem jeweiligen Unternehmen durch. Das erhaltene Geld zahlen sie dann abzüglich einer Provision an den Kunden aus. Andere Anbieter lassen sich vom Kunden dessen Forderung an die Gegenseite abtreten. Sie zahlen dem Kunden zum Beispiel die zu erwartende Entschädigung für eine Flugverspätung unter Abzug ihrer Gebühr aus. Dann holen sie sich das Geld von der Fluggesellschaft zurück. Bei solchen Angeboten müssen Kunden nur im Erfolgsfall zahlen.

Welche gesetzlichen Einschränkungen gibt es?


Das Rechtsdienstleistungsgesetz legt fest, wer außerhalb von Gerichtsverhandlungen rechtliche Dienste erbringen darf. Sinn dieser Regelung ist, Rechtsuchende vor unqualifizierten Dienstleistungen und damit vor Schaden zu bewahren. Ohne Einschränkungen dürfen nur Rechtsanwälte sowie in deren eigenen Arbeitsfeldern auch Steuerberater und Patentanwälte Mandanten rechtlich im Einzelfall gegen Bezahlung beraten. Hinzu kommen einige Organisationen, wie die Verbraucherzentralen. Auch diese dürfen im Rahmen ihrer Aufgaben eine Rechtsberatung erteilen.

Als Rechtsdienstleistung sieht das Gesetz jede Tätigkeit in konkreten fremden Angelegenheiten an, sobald diese eine rechtliche Prüfung eines Einzelfalls beinhaltet.

Als Rechtsdienstleistung gilt jedoch auch das Einziehen fremder Forderungen (Inkasso). Davon umfasst ist auch die Abtretung von Forderungen. Diese ist häufig die Grundlage des Geschäftsmodells von Legal-Tech-Services. Inkassodienste dürfen auch aufgrund besonderer Sachkunde von Nichtanwälten angeboten werden. Bei Inkassounternehmen ist dies der Fall. Diese unterliegen jedoch einer Registrierungspflicht.

Was gilt für einen Vertragsgenerator?


Vor einiger Zeit beschäftigte sich das Landgericht Köln mit einem Online-Vertragsgenerator. Hier hatte eine Anwaltskammer geklagt. Verbraucher konnten auf der Homepage des Legal-Tech-Dienstes mit einem Frage-Anwort-Formular Vertragsdokumente aus Textbausteinen selbst erstellen. Der Anbieter, ein Verlag, warb damit, dass die Vertragserstellung günstiger und schneller sei, aber ebenso rechtssicher wie beim Anwalt. Es handle sich nicht um eine Rechtsdienstleistung. Zielgruppe des Angebots seien Menschen, die aus Zeit- und Kostengründen sowieso keinen Rechtsanwalt mit dem Erstellen ihrer Verträge beauftragen würden. Damit sei das Angebot keine Konkurrenz für Rechtsanwälte.

Diese Meinung teilte das Landgericht Köln nicht. Es sah hier durchaus eine Rechtsdienstleistung – und diese sei Anwälten vorbehalten. Das Angebot ginge deutlich über die reine Überlassung standardisierter Vertragsvorlagen hinaus. Es berücksichtige gerade die Situation des Kunden im jeweiligen Einzelfall. Damit handle es sich um eine Dienstleistung, die nur ein zugelassener Rechtsanwalt erbringen dürfe. Die Werbeaussagen hinsichtlich des Vergleichs mit Anwälten betrachtete das Gericht als Wettbewerbsverstoß (LG Köln, Urteil vom 8.10.2019, Az. 33 O 35/19).

Der Bundesgerichtshof sah dies gänzlich anders: Die Erstellung eines Vertragsentwurfs mithilfe des digitalen Vertragsgenerators sei keine unerlaubte Rechtsdienstleistung. Der Anbieter werde nicht in konkreten Angelegenheiten des Nutzers tätig. Der Nutzer stelle sich lediglich aus vorgefertigten Textbausteinen seinen eigenen Text zusammen - wie bei der Nutzung eines Formularhandbuches. Darüber hinaus finde keine Beschäftigung mit den persönlichen Verhältnissen des Nutzers statt. Dieser erwarte auch keine individuelle Prüfung seines Einzelfalles (Urteil vom 9.9.2021, Az. I ZR 113/20).

Was gilt für die automatische Prüfung von Mieterhöhungen?


In bereits mehreren Verfahren beschäftigte sich der Bundesgerichtshof mit dem Legal-Tech-Portal "wenigermiete.de" (heute: "Conny"). Hier wird Verbrauchern angeboten, die Wirksamkeit von Mieterhöhungen oder die Einhaltung der Mietpreisbremse zu prüfen. Das Landgericht Berlin hatte in dem Geschäftsmodell bereits mehrfach einen Verstoß gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz gesehen.

Das Geschäftsmodell: Conny ist als Inkassounternehmen registriert und darf Inkassodienstleistungen nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz durchführen. Mieter können die Höhe ihrer Mieterhöhung online eingeben. Daraufhin wird automatisch geprüft, ob diese mit der Mietpreisbremse in Berlin zu vereinbaren ist. Ist dies nicht der Fall, fordert der Anbieter den jeweiligen Vermieter dazu auf, die zu viel gezahlten Beträge zurückzuerstatten und sich in Zukunft auf die zulässige Miethöhe zu beschränken. Der Anbieter leitet den erhaltenen Betrag anzüglich eines Honorars an die Mieter weiter. Das Honorar ist zum Teil ein Erfolgshonorar. Von den Vermietern wird außerdem die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten gefordert.

Eine reine Geldforderung wäre ohne Weiteres von der Inkassoerlaubnis gedeckt. Die Tätigkeit des Portals beschränkt sich jedoch nicht darauf: Der Nutzer kann einen Button mit der Aufschrift "Mietsenkung beauftragen" anklicken. Daraufhin werden beim Vermieter Auskunftsansprüche geltend gemacht. Erst ein Schreiben des Anbieters sorgt für die Rückzahlung. Die berechneten Kosten hängen auch vom Gegenwert der Aufforderung ab, künftig auf unzulässige Mieterhöhungen zu verzichten. So kann ein Gebührenstreitwert von einigen tausend Euro entstehen.

Das Berliner Landgericht hat die Gebühren als unverhältnismäßig und das Geschäftsmodell als Verstoß gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz angesehen. Es gab damit den Anwaltskammern recht, die in dem Angebot eine rechtliche Prüfung von Einzelfällen und keine Inkassotätigkeit sahen.

Der Bundesgerichtshof hat zunächst am 27.11.2019 entschieden, dass für das Geschäftsmodell von wenigermiete.de eine Inkassolizenz ausreiche. Dies war das erste höchstrichterliche Urteil zu Legal-Tech.
Nach dem BGH sind alle Tätigkeiten des Anbieters von der Inkassolizenz abgedeckt. Hier sei eine weit gefasste Definition von "Inkasso" anzuwenden. Die Neufassung des Rechtsdienstleistungsgesetzes von 2008 habe den Zweck gehabt, auch neue Berufsbilder zuzulassen und den Rechtsberatungsmarkt zukunftsfest zu gestalten. Hier sei keine Kollision unterschiedlicher Interessen im Sinne von § 4 Rechtsdienstleistungsgesetz gegeben (Urteil vom 27.11.2019, Az. VIII ZR 285/18).

Was besagt das neue BGH-Urteil von 2022?


Diese Rechtsprechung wurde 2022 fortgesetzt. Der Bundesgerichtshof bedachte das erneute Urteil des Landgerichts dabei mit deutlichen Worten wie "rechtsfehlerhaft" und "bereits im Ansatz verfehlt". Der BGH berücksichtigte hier nicht nur den konkreten Fall, sondern auch Argumentationen des Landgerichts aus anderen Verfahren - ein durchaus seltener Umstand.

Der Bundesgerichtshof verfolgt weiter seinen weitgefassten Inkassobegriff. Die Rückforderung der überzahlten Miete soll damit ebenso unter "Inkasso" fallen, wie die auf die Zukunft gerichtete Forderung, auf unzulässige Mieterhöhungen zu verzichten. Insofern stärkt dieses Urteil die Position der Legal-Tech-Anbieter.

Neu ist bei diesem Urteil, dass der oben erwähnte Button "Mietsenkung beauftragen" für unzulässig erklärt wird. Denn: Laut den Verbraucherschutzvorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches, hier § 312j BGB, muss ein Button, der Gebühren auslöst, eindeutig entsprechend beschriftet sein - etwa mit "jetzt kostenpflichtig bestellen". Daran fehlte es hier. Im konkreten Fall änderte dies nichts: Der Kunde war sich vollkommen darüber im Klaren gewesen, dass er mit seinem Klick eine kostenpflichtige Dienstleistung auslöste (Urteil vom 30.3.2022, Az. VIII ZR 256/21).

Praxistipp zu Legal-Tech


An Verbraucher gerichtete Legal-Tech-Angebote argumentieren oft damit, dass es sich für die bei ihnen auflaufenden Fälle nicht lohne, einen Anwalt zu beauftragen. Daher würden viele Verbraucher ihre Rechte bisher gar nicht wahrnehmen. Die Anwaltskammern verweisen dann auf die Möglichkeit, eine Rechtsschutzversicherung abzuschließen und auch bei kleineren Beträgen seine Ansprüche durchzusetzen. Ein Algorithmus könne nie eine auf den Einzelfall abgestimmte Rechtsberatung ersetzen. Wie sich zeigt, ist die höchstrichterliche Rechtsprechung den Geschäftsmodellen der Legal-Tech-Anbieter freundlich gesonnen. Benötigen Sie Beratung in einem Fall, der die Fähigkeiten eines Algorithmus übersteigt? Dann ist ein Rechtsanwalt für Zivilrecht - oder auch ein Fachanwalt für Mietrecht - ein guter Ansprechpartner.

(Ma)


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 Ulf Matzen
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