Pflichtteilsrecht: Was ist mein Anteil am Erbe?

04.11.2021, Redaktion Anwalt-Suchservice / Lesedauer ca. 4 Min. (1538 mal gelesen)
Pflichtteil,Erbe,Nachlass,Enterbung Wer nichts erbt, bekommt in vielen Fällen trotzdem einen Pflichtteil. © Bu - Anwalt-Suchservice

So mancher nahe Angehörige wird im Testament nicht bedacht. Das bedeutet jedoch noch nicht, dass er leer ausgeht: Häufig besteht Anspruch auf den gesetzlichen Pflichtteil. Dieser ist bei den Erben einzufordern.

Den eigenen Nachlass kann man entweder durch die gesetzliche Erbfolge oder durch eine letztwillige Verfügung – wie ein Testament oder einen Erbvertrag – an jemand anderen vererben. Wenn man sich für ein Testament oder einen Erbvertrag entscheidet, dürfen die eigenen Regelungen von der gesetzlichen Erbfolge abweichen. Allerdings können Erblasser trotzdem nicht vollkommen nach eigenem Gutdünken über ihr Erbe bestimmen. Denn: Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) sieht vor, dass bestimmte nahe Angehörige einen Pflichtteil zu bekommen haben. Als Pflichtteil bezeichnet man einen gesetzlich festgelegten Anteil am Nachlass, den nur Angehörige bekommen, welche durch eine letztwillige Verfügung vom Erbe ausgeschlossen sind. Ein wichtiger Unterschied: Pflichtteilsberechtigte sind keine Erben. Sie haben lediglich einen Zahlungsanspruch gegen die Erben, also gegen die Personen, die laut Testament oder Erbvertrag geerbt haben. Dementsprechend haben Pflichtteilsberechtigte zum Beispiel nicht in einer Erbengemeinschaft mitzureden.

Wer ist pflichtteilsberechtigt?


Ein Anrecht auf einen Pflichtteil besitzen die Abkömmlinge des Erblassers (Kinder, Enkel und Urenkel) sowie sein Ehepartner und seine Eltern, ferner Partner in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft. Keinen Anspruch auf einen Pflichtteil haben Geschwister und entferntere Verwandte.

Wer geht vor?


Gemäß § 2309 BGB gehen nähere Verwandte den entfernteren vor. Die letzteren sind dann vom Pflichtteil ausgeschlossen. Hat also zum Beispiel ein Erblasser ein Kind und ein Enkelkind, bekommt das Kind einen Pflichtteil und das Enkelkind geht leer aus. Die Eltern des Erblassers können ebenfalls keinen Pflichtteil verlangen, wenn es einen pflichtteilsberechtigten Abkömmling (Kind, Enkel, Urenkel) des Erblassers gibt.

Wie hoch ist der Pflichtteil?


Der Pflichtteil umfasst die Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils. Die Höhe dieses gesetzlichen Erbteils ist wiederum davon abhängig, welche gesetzlichen Erbberechtigten es gibt. Testamentarische Regelungen spielen bei dieser Berechnung keine Rolle.

In einem ersten Schritt muss der Nachlass bewertet werden. Häufig entsteht dabei Streit zwischen den Erben - zum Beispiel, weil diese sich über den Wert von Mobiliar, Schmuck oder einer Immobilie nicht einigen können. Oft sind auch emotionelle Werte im Spiel.

Die Erben haben aus dem Nachlass zunächst die Nachlassverbindlichkeiten zu bezahlen. Darunter fallen zum Beispiel alte Schulden des Erblassers oder die Bestattungskosten. Im Prinzip gehören jedoch auch die Pflichtteile zu den Nachlassverbindlichkeiten.

Beispiel: Der Erblasser hat zwei Kinder. Laut Testament ist seine Tochter Alleinerbin. Der Sohn erbt nichts und verlangt seinen Pflichtteil.
Bei der gesetzlichen Erbfolge würden beide Kinder einen Erbteil von je 50 Prozent bekommen. Daher steht dem Sohn ein Pflichtteil von der Hälfte des Erbteils zu - also von 25 Prozent. Diesen Anteil muss ihm die Tochter auszahlen.

Was ist ein Restpflichtteil?


Einen Pflichtteil nennt man Restpflichtteil, wenn dieser bei teilweiser Enterbung gezahlt werden muss. Im Beispiel oben könnte der Erblasser ja auch auf die Idee kommen, dem ungeliebten Sohn den Pflichtteil vorzuenthalten, indem er ihn als Erben einsetzt, aber nur mit vielleicht fünf Prozent.
Das funktioniert so aber nicht. Denn: Der Sohn könnte trotzdem von der Tochter einen Restpflichtteil als Ausgleich bis zum Betrag seines normalen Pflichtteils verlangen – das wären in unserem Beispiel weitere 20 Prozent vom Nachlass.

Wie ist das Verhältnis von Pflichtteil und Zugewinnausgleich?


Natürlich ist es auch denkbar, dass ein Ehepartner dem anderen nichts vererben möchte und dies per Testament festlegt. Aber: Dem Ehepartner des Erblassers steht immer noch ein Pflichtteil zu, wenn er oder sie testamentarisch vollständig enterbt wurde.

Hier gilt jedoch auch die gesetzliche Regelung über den ehelichen Güterstand: Haben die Eheleute nichts anderes vereinbart, leben sie im Güterstand der Zugewinngemeinschaft. Es besteht also ein Anspruch auf Zugewinnausgleich nach den §§ 1373 ff. BGB.

Wenn der Ehegatte nicht enterbt wurde, sondern laut Testament nur einen Betrag unter dem Pflichtteil bekommen soll, hat er Anspruch auf einen Restpflichtteil oder Ergänzungspflichtteil. Und dieser erhöht sich dann um einen standardisierten Zugewinnausgleich im Todesfall. Der Pflichtteil wird dann auf der Grundlage eines um 1/4 erhöhten gesetzlichen Erbteils berechnet (§ 1371 Abs. 1 BGB). Dabei spielt es gar keine Rolle, ob die Ehegatten in Wirklichkeit überhaupt einen Zugewinn erzielt haben.

Wie funktioniert die Entziehung des Pflichtteils?


Nur unter sehr strengen Voraussetzungen kann ein Erblasser seinen Angehörigen den Pflichtteil ganz entziehen. Dies ist in § 2333 BGB geregelt. Möglich ist dies nur in extremen Fällen, wenn etwa der Pflichtteilsberechtigte dem Erblasser oder ihm sehr nahestehenden Personen nach dem Leben getrachtet hat, gegen diese Personen ein Verbrechen oder schweres vorsätzliches Vergehen begangen hat oder auch, wenn er seine Unterhaltspflichten gegenüber dem Erblasser böswillig verletzt hat.

Ein weiterer möglicher Grund für eine Pflichtteilsentziehung ist auch die rechtskräftige Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung oder die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt wegen einer ähnlich schwerwiegenden vorsätzlichen Tat.

Ist eine Pflichtteilsentziehung beabsichtigt, muss diese im Testament ausdrücklich erwähnt werden und dort am besten auch so genannt werden. Nicht ausreichend ist es, den Begriff "Enterbung" zu verwenden oder lediglich jemand anderen als Alleinerben einzusetzen. Das Oberlandesgericht Köln hat in einem Urteil betont, dass auch die Gründe für eine Pflichtteilsentziehung im Testament genau anzugeben sind. Hier ist also Klartext angesagt (Az. 1 U 111/96).

Verfehlungen des Pflichtteilsberechtigten, die zu dessen Erbunwürdigkeit führen (z. B. Mordversuch, Hinderung des Erblassers an der Testamentserrichtung, Beeinflussung des Testamentsinhalts durch Täuschung oder Drohung) können bewirken, dass ein Pflichtteilsanspruch nach § 2345 Abs. 2 BGB anfechtbar ist – auch durch die Erben. Die Gerichte legen hier jedoch strenge Maßstäbe an. Selbst ein Tötungsversuch muss nachgewiesen werden (OLG Nürnberg, Hinweisbeschluss vom 4.1.2018, 2 U 1668/17).

Nach dem OLG Frankfurt kann eine Entziehung des Pflichtteils nicht damit begründet werden, dass der Pflichtteilsberechtigte nicht dazu bereit war, den Erblasser im Krankheitsfall persönlich zu pflegen (Urteil vom 29.10.2013, Az. 15 U 61/12).

Welche Auskunftspflicht hat der Erbe?


Der Erbe ist dazu verpflichtet, den Pflichtteilsberechtigten auf Verlangen über den Bestand des Nachlasses zu informieren. Der Pflichtteilsberechtigte seinerseits kann verlangen, dass der Erbe ihn bei der Erstellung des ihm vorzulegenden Verzeichnisses der Nachlassgegenstände hinzuzieht und dass deren Wert ermittelt wird.

Praxistipp


Unklarheiten und Missverständnisse beim Thema Pflichtteil können massive finanzielle Folgen haben. Ein Fachanwalt für Erbrecht ist der richtige Ansprechpartner, um offene Fragen zu klären oder Ansprüche durchzusetzen. Er kann auch Beratung bei der Erstellung von Testamenten geben.

(Wk)


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 Günter Warkowski
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