Muss das Jobcenter die Kosten für eine Räumungsklage zahlen?

13.04.2022, Redaktion Anwalt-Suchservice / Lesedauer ca. 5 Min. (10305 mal gelesen)
Räumungsklage,Gerichtskosten,Jobcenter,Mietschulden Räumungsklage nach Leistungsstreichung: Wer zahlt die Kosten? © Bu - Anwalt-Suchservice

Das Jobcenter muss unter bestimmten Voraussetzungen für ALG II-Empfänger die Kosten für Unterkunft und Heizung bezahlen - und unter Umständen sogar Gerichtskosten, die es selbst verursacht hat.

Wenn das Jobcenter die ALG II-Zahlungen einstellt, geraten Leistungsempfänger oft schnell in Existenznot. Dies gilt auch für den Bereich der Wohnkosten. Wer zur Miete wohnt, wird umgehend die Kündigung wegen Mietschulden im Briefkasten haben. Denn: Sobald ein Mieter mit zwei Monatsmieten in Verzug gerät, ist der Vermieter zur fristlosen Kündigung des Mietvertrages berechtigt.

Wann übernimmt das Jobcenter die Miete?


Empfänger von Arbeitslosengeld II (ALG II oder “Hartz-IV”) haben Anspruch auf den ALG II-Regelsatz. Zusätzlich übernimmt das Jobcenter die Wohnkosten, genauer die Kosten für Unterkunft (Kaltmiete) und Heizung. Dabei gibt es jedoch erhebliche Einschränkungen. Das Amt zahlt zwar grundsätzlich die tatsächlich anfallenden Kosten, aber nur, wenn diese angemessen sind. Auch die Größe der Wohnung muss angemessen sein.

Als angemessen gelten bei einer Einzelperson 45 bis 50 Quadratmeter, bei zwei Personen sind es meist 60 Quadratmeter. Wie hoch eine angemessene Miete sein darf, unterscheidet sich von Stadt zu Stadt und richtet sich natürlich auch nach dem Mietniveau vor Ort. Wenn es keine besonderen Regelungen gibt, kann auch das Wohngeldgesetz zu Rate gezogen werden. Darin stehen Höchstgrenzen, die von der Anzahl der Haushaltsmitglieder und der Mietenstufe abhängen. Wenn die tatsächliche Miete diese Beträge überschreitet, muss das Jobcenter keinen höheren Betrag bezahlen.

Unter welchen Voraussetzungen zahlt das Jobcenter die Wohnkosten?


Das Jobcenter übernimmt die Kosten für Unterkunft und Heizung für Leistungsempfänger nur, wenn entweder die Voraussetzungen für die Hilfe zum Lebensunterhalt oder diejenigen für eine Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zutreffen. Außerdem sind natürlich einige Formalien zu beachten. Zum Beispiel muss vor einem Umzug die Zustimmung des Jobcenters eingeholt werden, das die Wohnkosten übernehmen soll.

Was passiert bei unangemessen hohen Kosten?


Grundsätzlich gibt es auch die Möglichkeit, dass das Jobcenter Wohnkosten übernimmt, die es eigentlich für unangemessen hoch hält. Dies ist maximal für sechs Monate möglich, wenn der Leistungsempfänger keine Möglichkeit hat, seine Wohnkosten kurzfristig zu verringern – zum Beispiel, indem er in eine billigere Wohnung umzieht oder ein Zimmer an einen Untermieter vermietet. Wenn ein Umzug wegen Krankheit oder hohen Alters nicht möglich ist, können die erhöhten Kosten auch für einen längeren Zeitraum gezahlt werden.

Was passiert bei Mietschulden und Stromschulden?


Man spricht von Mietschulden, wenn der Mieter mit Zahlungen schon im Rückstand ist. Dann bestehen auch oft Zahlungsrückstände bei Versorgungsunternehmen, wie etwa dem Stromanbieter. Bekommt der Mieter ALG II, kann das Jobcenter auch Mietschulden oder Stromkosten-Rückstände übernehmen. Dafür ist allerdings Voraussetzung, dass dies zur “Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist”. Wenn Wohnungslosigkeit einzutreten droht, “soll” die Behörde die Schulden übernehmen (§ 22 Abs. 8 des Zweiten Sozialgesetzbuches, SGB II).

Übernahme von Mietschulden als Darlehen


Das Jobcenter übernimmt rückständige Zahlungen für Miete und Energiekosten oft in Form eines Darlehens. Dieses muss der Betroffene dann in Raten zurückzahlen. Die rechtliche Grundlage dafür ist § 22 Abs. 8 SGB II. Sobald einmal Mietrückstände bestehen, die den Vermieter zur Kündigung berechtigen, ist das Jobcenter gehalten, die laufenden Wohnkosten in Zukunft direkt an den Vermieter zu überweisen.

Wann muss das Jobcenter eine Räumungsklage bezahlen?


Das Landessozialgericht in Stuttgart befasste sich mit dem Fall eines psychisch kranken Mieters. Dieser hatte jahrelang ALG II-Leistungen bekommen. Nach sechs Jahren forderte ihn das Jobcenter auf, einen Rentenantrag zu stellen. Als Rentner wäre er nicht mehr ALG II-Bezieher gewesen. Um das Ganze zu beschleunigen, forderte die Behörde auch gleich die Deutsche Rentenversicherung auf, die Erwerbsfähigkeit des Mannes zu prüfen und stellte selbst einen Rentenantrag. Daraufhin wurde das Rentenverfahren eingeleitet.

Das Verfahren kam jedoch nicht voran. Nun strich das Jobcenter dem Mann sein ALG II, weil er Formulare für die Rentenversicherung nicht ausgefüllt habe. Wenig überraschend konnte er deswegen seine Miete nicht mehr bezahlen. Nun kündigte ihm sein Vermieter den Mietvertrag und erhob Räumungsklage.

Dann schickte der Mann die Formulare doch noch ein. Das Jobcenter überwies nun wieder ALG II und Miete und der Vermieter zog die Räumungsklage zurück. Allerdings arbeiten auch die Gerichte nicht kostenlos. Für die Räumungsklage waren Gerichtskosten entstanden. Diese hätte im Normalfall der Mieter zahlen müssen.

Räumungsklage: Wer zahlt die Gerichtskosten und warum?


Wenn ein Vermieter eine Räumungsklage erheben will, muss er zunächst einmal einen Kostenvorschuss bezahlen. Die Höhe der Kosten hängt vom Streitwert ab, in diesem Fall ist dieser die Jahresnettomiete der Wohnung. Verliert der Vermieter, hat er die Kosten selbst zu tragen. Gewinnt der Vermieter das Verfahren und wird der Mieter zur Räumung der Wohnung verurteilt, muss der Mieter die Gerichtskosten bezahlen.

Bis zur mündlichen Gerichtsverhandlung kann die Klage zurückgenommen werden. Die bis dahin entstandenen Gerichtskosten trägt grundsätzlich der Kläger. Wenn dieser jedoch die Klage zurückgenommen hat, weil der Grund für die Klage entfallen ist – zum Beispiel, weil der Mieter im letzten Moment doch noch die Miete gezahlt hat – liegt es im Ermessen des Gerichts, wem es die Kosten auferlegt (§ 269 Abs. 3 S. 3 Zivilprozessordnung). Dabei ist der Sachstand im jeweiligen Fall zu berücksichtigen.

Daher kann auch der Mieter zur Kostentragung herangezogen werden, weil er durch sein Verhalten die Klage herausgefordert hat. So war es hier: Der Mieter sollte 857,68 Euro an Gerichtskosten für die zurückgenommene Räumungsklage an das zuständige Zivilgericht bezahlen. Das Landessozialgericht war hier jedoch anderer Meinung.

Wann muss das Jobcenter die Gerichtskosten bezahlen?


Das Landessozialgericht entschied, dass nicht der Mieter, sondern das Jobcenter die Kosten für die zurückgenommene Räumungsklage tragen müsse. Dem Gericht zufolge war nämlich nicht zu klären, welchen Sinn die vom Mieter nicht ausgefüllten Formulare überhaupt haben sollten. Die Entscheidung, ob jemand eine Rente wegen Berufsunfähigkeit bekommt, trifft die Deutsche Rentenversicherung auf Basis von Gutachten. In diesem Fall lief das Rentenverfahren schon. Von dem arbeitslosen Mieter waren gar keine Rentenantragsformulare mehr auszufüllen. Es machte also keinen Sinn, ihm die Leistungen zu kürzen, weil er sie nicht ausfüllte.

Zusätzlich bemängelte das Gericht, dass das Jobcenter nicht geprüft habe, ob der Mann wegen seiner psychischen Erkrankung überhaupt dazu in der Lage war, Behördenformulare auszufüllen. Auch abgesehen davon, dass unter diesen Umständen gar keine Leistungskürzung hätte stattfinden dürfen, habe der Mann jedenfalls Anspruch auf eine grundlegende Existenzsicherung gehabt. Irgendein vernünftiger Grund, ihm gleich den gesamten Sozialleistungsbezug ersatzlos zu streichen, habe nicht existiert. Das Jobcenter habe diese Entscheidung auch gar nicht begründet.

Die Mietrückstände seien deswegen nicht vom Mieter durch sein Verhalten verschuldet worden, sondern allein vom Jobcenter. Daher habe dieses die Gerichtskosten zu tragen, und zwar als einen sogenannten “einmaligen Unterkunftsbedarf” (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 6.7.2017, Az. L 9 AS 1742/14). Die Revision des Jobcenters beim Bundessozialgericht wurde übrigens abgewiesen - wegen mangelhafter Begründung und Fristversäumnissen (Az. B 14 AS 25/17 R).

Praxistipp zur Übernahme von Gerichtskosten durch das Jobcenter


Zwar handelt es sich hier um eine eher ungewöhnliche Fallkonstellation. Sie zeigt aber, dass auch ALG II-Empfänger nicht schutzlos den Ermessensentscheidungen des Jobcenters ausgesetzt sind. Und auch, dass sogar ein psychisch kranker Mensch einen Prozess durch mehrere Instanzen gewinnen kann. Wenn Ihre Leistungen ohne sinnvolle Begründung gestrichen werden, kann eine Beratung durch einen Fachanwalt für Sozialrecht helfen. Bei knappen finanziellen Mitteln gibt es die Möglichkeiten der Beratungshilfe und der Prozesskostenhilfe.

(Ma)


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 Ulf Matzen
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