Pflegefall: Wie rettet man das Familienheim vor dem Sozialamt?

01.04.2022, Redaktion Anwalt-Suchservice / Lesedauer ca. 4 Min. (34089 mal gelesen)
Sozialhilfe,Pflege,Erbschaft,Haus,Testament Ein gutes Testament kann helfen, damit das Haus in der Familie bleibt. © Bu - Anwalt-Suchservice

Nach sieben Jahren Aufenthalt in einer stationären Pflegeeinrichtung ist das Familienheim "verbraucht"! Das richtige Testament kann das Haus für die nächste Generation vor dem Staat retten.

Die eigene Immobilie ist für viele Menschen in Deutschland die sicherste und solideste Möglichkeit, für das Alter vorzusorgen. Neben der Rente ist das Familienheim für viele Ehepartner oft der einzige Vermögensgegenstand von Bedeutung. Wird jedoch eine Unterbringung im Pflegeheim erforderlich und reichen die vorhandenen Mittel für dessen laufende Kosten nicht aus, gerät das Haus in Gefahr. Denn: Das Sozialamt übernimmt den Teil der Kosten, die sich die pflegebedürftige Person nicht leisten kann. Auf das Familienheim kann das Sozialamt zu Lebzeiten des Leistungsempfängers meist nicht zugreifen, da es in vielen Fällen zum sogenannten Schonvermögen gehört (§ 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII). Ist jedoch der Erbfall eingetreten, greift es auf den Nachlass zu und holt sich das Geld zurück.

Welche Rechtsgrundlage hat die Erbenhaftung bei der Sozialhilfe?


Es gibt nur noch sehr eingeschränkt eine Erbenhaftung für gezahlte Sozialleistungen. Bei Hartz IV ist sie entfallen, und auch bei Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung im Rahmen der Sozialhilfe existiert so etwas nicht. Aber: Bei der Sozialhilfeleistung "Hilfe zur Pflege" nach dem 12. Sozialgesetzbuch (SGB XII) gibt es sehr wohl noch eine Haftung der Erben.

Die Kostenersatzpflicht der Erben beruht auf § 102 Abs. 1 SGB XII. Sie gilt für alle Leistungen, die das Sozialamt in den zehn Jahren vor dem Ableben des Erblassers gezahlt hat und die das Dreifache des Grundbetrages nach § 85 Abs. 1 SGB XII übersteigen. Dieser liegt 2022 bei 898 Euro, das Dreifache sind 2.694 Euro.
Der Ausschluss der Hilfen für Grundsicherung und bei Erwerbsminderung ergibt sich aus § 102 Abs. 5 ("Leistungen nach dem vierten Kapitel").

Warum nicht einfach verschenken?


Eine einfache Schenkung zu Lebzeiten reicht leider nicht aus: Nach § 528 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) hat der Schenker im Falle seiner Verarmung ein Rückforderungsrecht. Dieses Recht kann das Sozialamt auf sich überleiten und gegen den Beschenkten und sogar gegen dessen Erben geltend machen.

Welche Mittel versprechen Erfolg?


Das Mittel der Wahl wäre hier eine entsprechende Gestaltung des Testaments. Grundsätzlich sind Testamentsgestaltungen, die den Nachlass vor dem Zugriff des Sozialamtes schützen sollen, nicht sittenwidrig. Das hat der Bundesgerichtshof entschieden (Urteil vom 19.1.2011, Az. IV ZR 7/10). Deshalb empfiehlt es sich dringend für verantwortungsbewusste Erblasser, durch geeignete testamentarische Gestaltungen das Familienheim vor dem Zugriff des Staates zu bewahren.

Welche Möglichkeiten bieten sich an?


Es gibt hier verschiedene Regelungsmöglichkeiten, die jeweils Vor- und Nachteile haben. Dabei muss man auch die Belastung von Kindern mit Erbschaft- oder Schenkungsteuer im Blick behalten. Entscheidend ist immer der jeweilige Einzelfall. Hier können nicht alle Varianten berücksichtigt werden, die sich im Einzelfall anbieten. Daher dürfen die nachfolgenden Vorschläge nicht pauschal übernommen werden - fachkundige Beratung ist bei solchen Konstruktionen unabdingbar.

Möglichkeit 1: Wohnrecht für den überlebenden Ehegatten
Die Kinder erben das Grundstück. Der überlebende Ehepartner erhält ein Wohnrecht auf Lebenszeit am Familienheim - und zwar per Vermächtnis. Ein Vermächtnisnehmer ist KEIN Erbe, sondern hat nur einen Anspruch gegen die Erben auf einen bestimmten Einzelgegenstand. Das Wohnrecht endet laut Testament, wenn der überlebende Ehegatte es aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben kann. Es steht also unter einer sogenannten auflösenden Bedingung.

Hier wäre der Ehepartner davor sicher, aus dem Haus ausziehen zu müssen, in dem er oder sie das ganze Leben lang gewohnt hat. Zwar könnte das Sozialamt spätestens nach dem Auszug des Ehegatten den Kindern als Erben das Haus wegnehmen. Vorher wird es das wahrscheinlich nicht tun, da sich das Haus nicht verwerten lässt, wenn jemand daran ein Wohnrecht hat. Nach dem Auszug des überlebenden Ehegatten könnte es für die Behörde zu spät sein: Der Anspruch aus § 102 Abs. 1 SGB XII verjährt innerhalb von drei Jahren nach dem Tod des Leistungsempfängers.

Diese Regelung kann jedoch zu steuerlichen Nachteilen führen. Die Kinder müssten ggf. Erbschaftssteuer zahlen, die sich vielleicht nur durch den Verkauf des Hauses aufbringen lässt. Außerdem gerät der überlebende Ehegatte nach einem Umzug in das Pflegeheim möglicherweise in finanzielle Schwierigkeiten.

Möglichkeit 2: Vor- und Nacherbschaft mit Testamentsvollstreckung
Hier wird der überlebende Ehegatte als alleiniger, nicht befreiter Vorerbe eingesetzt.
Ein solcher ist in seinen Verfügungsmöglichkeiten über den Nachlass beschränkt: Er darf u. a. keine Grundstücke veräußern, übertragen oder belasten. Denn: Er soll das Erbe für die Nacherben zusammenhalten. Nacherben werden die Kinder. Diese erhalten den Nachlass, wenn der Vorerbe verstirbt.

Die Vor- und Nacherbschaft kann sich dabei auf das Familienheim beschränken. Zusätzlich kann und sollte der überlebende Ehegatte zu seiner Absicherung als Vorausvermächtnis alle anderen Nachlassgegenstände bekommen, auf die das Sozialamt keinen Zugriff hat.
Ein Vorausvermächtnis ist ein Vermächtnis, das einem Erben zugewandt wird. Dadurch bekommt der Erbe über die Erbeinsetzung hinaus im Voraus einen bestimmten Gegenstand, der nicht auf sein Erbteil anzurechnen ist. Dies ist unabhängig von seiner Stellung als Erbe.

Ein Vorerbe bekommt die Erträge aus dem Nachlass - zum Beispiel Mieteinnahmen. Muss nun der Vorerbe ins Pflegeheim und braucht selbst "Hilfe zur Pflege", könnte das Sozialamt ggf. auf diese Beträge zugreifen. Durch eine im Testament angeordnete Dauertestamentsvollstreckung mit geeigneten Anweisungen an den Testamentsvollstrecker lässt sich dies verhindern: Der Testamentsvollstrecker wird testamentarisch angewiesen, dem Vorerben nur so viel von den Erträgen zu überweisen, dass dies für etwaige Sozialleistungen unschädlich ist. Hier bietet es sich an, ein geeignetes Kind als Testamentsvollstrecker einzusetzen.

Zu kombinieren ist all dies mit einem Pflichtteilsverzicht der Kinder und der Ehegatten. Zumindest dann, wenn ein Leistungsempfänger oder dessen Ehegatte gegen einen Erben Pflichtteilsansprüche hat, kann das Sozialamt diese auf sich überleiten (§ 93 SGB XII). Der Pflichtteilsanspruch entsteht sofort nach dem Erbfall. Dieses Risiko sollte ausgeschlossen werden.

Zu prüfen ist außerdem, ob das Sozialamt Unterhaltsansprüche des überlebenden Elternteils gegen die Kinder - oder womöglich nur gegen eines der Kinder - überleiten und auf dieser Basis Leistungen zurückverlangen kann. Hier spricht man vom sogenannten Elternunterhalt. Dies ist jedoch nur noch möglich, wenn das Kind mehr als 100.000 Euro im Jahr verdient.

Praxistipp


In vielen Fällen kann das Familienheim vor dem Zugriff des Staates gerettet werden und für die nachfolgende Generation erhalten bleiben. Dafür bieten sich Regelungen in Testament oder Erbvertrag an. Ein Fachanwalt für Erbrecht kann bei den erforderlichen Gestaltungen helfen.

(Wk)


Sie benötigen Hilfe bei Ihrer Suche nach dem richtigen Anwalt? Dann schreiben Sie uns über unser Kontaktformular. Wir helfen Ihnen kostenlos und unverbindlich.


 Günter Warkowski
Anwalt-Suchservice
Juristische Redaktion
E-Mail schreiben Juristische Redaktion
 Günter Warkowski
Anwalt-Suchservice
Juristische Redaktion
E-Mail schreiben Juristische Redaktion