Muss mein Chef mir sagen, was meine Kollegen verdienen?

04.09.2023, Redaktion Anwalt-Suchservice / Lesedauer ca. 7 Min. (5435 mal gelesen)
Arbeitsgesetze,Entgelttransparenzgesetz,Buchdeckel Bei gleicher Tätigkeit müssen Frauen und Männer auch den gleichen Lohn bekommen. © Bu - Anwalt-Suchservice
Das Wichtigste in Kürze

1. Unternehmensgröße: Ein Unternehmen muss mindestens 200 Mitarbeiter haben, damit eine Arbeitnehmerin ein Recht auf Auskunft über das Gehalt von Kollegen nach dem Entgelttransparenzgesetz hat.

2. Vergleichsgruppe: Eine Mitarbeiterin kann Auskunft über das Durchschnittsgehalt einer Gruppe von männlichen Kollegen verlangen, die eine gleiche bzw. gleichwertige Tätigkeit ausüben. Die Gruppe muss aus mindestens sechs Mitarbeitern bestehen.

3. Formelle Anfrage: Die Anfrage muss schriftlich an die Personalabteilung gestellt werden und das Unternehmen ist verpflichtet, innerhalb von drei Monaten zu antworten. Möglich ist auch, die Anfrage über den Betriebsrat zu stellen.

4. Mittelwert der Gehälter: Es besteht kein Anspruch auf Nennung des konkreten Gehalts eines bestimmten Kollegen. Der Arbeitgeber genügt dem Auskunftsanspruch, wenn er den Mittelwert aus den Gehältern von mehreren Mitarbeitern des anderen Geschlechts bildet.
Das Entgelttransparenzgesetz wurde eingeführt, damit Arbeitnehmer eine Vergleichsbasis für Gehaltsverhandlungen haben. So sollte die immer noch übliche ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern für die gleiche Arbeit reduziert werden. Denn: Wer gute Argumente hat, bekommt oft auch mehr Geld. Auch sind durchaus rechtliche Schritte gegen den Arbeitgeber möglich.

Was ist das Entgelttransparenzgesetz?


2018 wurde das Entgelttransparenzgesetz neu eingeführt. Es heißt offiziell "Gesetz zur Förderung der Transparenz von Entgeltstrukturen", abgekürzt EntgTranspG. In Kraft getreten ist es 6.7.2017. Der wichtigste Kernpunkt gilt seit 6. Januar 2018: der Auskunftsanspruch.

Der Grundgedanke hinter dem Gesetz ist, dass gerade Arbeitnehmerinnen oft gar nicht merken, dass sie in Sachen Gehalt schlechter gestellt werden, als ihre männlichen Kollegen. Das neue Gesetz gibt ihnen einen Rechtsanspruch gegen den Arbeitgeber, Auskunft über die Höhe des Arbeitslohns der Kollegen zu verlangen. So sollen sie einfacher herausfinden sollen, ob sie vom Arbeitgeber den gleichen Arbeitslohn erhalten wie Männer für die gleiche oder eine gleichwertige Arbeit. Nach wie vor ist die Lohnungleichheit zwischen Männern und Frauen in Deutschland zwar eigentlich unzulässig, aber immer noch weit verbreitet.

Müssen Frauen und Männer gleich bezahlt werden?


Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) oder Antidiskriminierungsgesetz verbot auch schon vor dem Entgelttransparenzgesetz eine Benachteiligung wegen des Geschlechts bei der Zahlung von Arbeitslohn. Chefs, die dagegen verstoßen, müssen grundsätzlich mit Nachzahlungs- und Entschädigungsforderungen von benachteiligten Arbeitnehmerinnen rechnen. Das Entgelttransparenzgesetz betont dies noch einmal. Sein § 7 enthält ein Entgeltgleichheitsgebot, das es verbietet, Frauen und Männern für eine gleiche oder gleichwertige Arbeit unterschiedlich hohe Vergütungen zu zahlen. Verstößt ein Arbeitsvertrag gegen dieses Gebot, ist die Vereinbarung unwirksam.

Wie funktioniert der Auskunftsanspruch?


Der Auskunftsanspruch gilt in Betrieben mit mindestens 200 Mitarbeitern. Dort dürfen Beschäftigte vom Arbeitgeber Auskunft darüber verlangen, was ihre Kollegen mit dem gleichen oder einem gleichwertigen Job verdienen. Eine Kritik am Gesetz lautet, dass es nur einen Teil der Betriebe erfasst und Kleinbetriebe ausnimmt.

Eine weitere Voraussetzung für den Auskunftsanspruch ist, dass in dem Betrieb mindestens sechs Mitarbeiter des jeweils anderen Geschlechts eine ähnliche Tätigkeit ausüben müssen. Viele Auskunftsverlangen von Arbeitnehmerinnen scheitern an dieser Hürde. Dies gilt besonders bei höherrangigen Positionen, bei denen es nicht mehrere Personen mit der gleichen Tätigkeit gibt.

Tatsächlich besteht kein Anspruch auf Informationen über das Gehalt eines bestimmten Kollegen. Der Arbeitgeber muss stattdessen den Mittelwert aus den Gehältern von mehreren Mitarbeitern des anderen Geschlechts bilden. Daher besteht der Auskunftsanspruch auch nur, wenn mindestens sechs Personen des anderen Geschlechts eine ähnliche Tätigkeit ausüben. Der Chef muss außerdem mitteilen, nach welchen Kriterien sich die Lohnhöhe richtet.

Wie macht man den Auskunftsanspruch geltend?


Beschäftigte können ihren Auskunftsanspruch über den Betriebsrat geltend machen. Dieser gibt dann das Auskunftsersuchen an die Personalabteilung weiter. Arbeitnehmer müssen ihren Auskunftsanspruch schriftlich geltend machen (also auf Papier mit eigenhändiger Unterschrift). Sie müssen dabei angeben, zu welcher Vergleichsgruppe sie gehören. Die Anfrage kann durchaus auch direkt an Arbeitgeber oder Personalabteilung gehen. Arbeitgeber und Betriebsrat informieren sich gegenseitig über eingegangene Anträge. Musteranträge zum Download gibt es auf der Website des Bundesfamilienministeriums.

Was ist eine gleiche oder gleichwertige Tätigkeit?


Von einer gleichen Tätigkeit geht man aus, wenn zwei Arbeitnehmer sich von ihrer Arbeit her gegenseitig ersetzen könnten, also praktisch einer identischen Tätigkeit nachgehen. Als gleichwertig wird eine Tätigkeit angesehen, wenn die Arbeit von zwei Personen sich zwar vom Inhalt her unterscheidet, aber mit den gleichen Anforderungen oder Belastungen verbunden ist. Häufig ist es schwierig, festzustellen, ob zwei Tätigkeiten gleichwertig sind. Dabei sind auch die Art der Arbeit, die Ausbildungsanforderungen und die praktischen Arbeitsbedingungen zu berücksichtigen. Beispiel: Eine Kfz-Mechatronikerin hat einen Auskunftsanspruch, um sich über den Arbeitslohn von männlichen Kfz-Mechatronikern zu informieren. Andererseits geht sie der Lohn des Buchhalters in ihrem Autohaus nichts an.

Was ist ein Arbeitnehmer? Urteil zum Crowdworking


Der Auskunftsanspruch steht Arbeitnehmern zu. Welche Personen damit gemeint sind, scheint eindeutig zu sein. Es gibt jedoch Grenzfälle. So befasste sich das Bundesarbeitsgericht im Dezember 2020 mit der Frage, ob Crowdworker Arbeitnehmer sind. Crowdworker nennt man Menschen, die von einzelnen Aufträgen leben, die ihnen auf einer Online-Vermittlungsplattform angeboten werden. Hier ging es um einen 50-Jährigen, der eine Vereinbarung mit einer Plattform getroffen hatte, die ihm Zugriff auf die Angebote gab. Es gab auch eine rückwärts laufende Uhr nach Annahme des Auftrags, die die verfügbare Zeit maß, und ein Erfahrungspunktesystem wie bei Computerspielen. Mit steigender Zahl von Erfahrungspunkten bekam man Zugriff auf bessere Aufträge. Vertragsbeziehungen gab es nur zwischen der Plattform und dem Crowdworker, nicht zwischen ihm und den Auftraggebern. Die Plattform hatte die Zusammenarbeit mit dem Mann nach Streitigkeiten über Aufträge und die Vergütung beendet. Er erhob Kündigungsschutzklage, weil er der Ansicht war, Arbeitnehmer zu sein.

Das Bundesarbeitsgericht entschied: Crowdworker mit diesem Beschäftigungsmodell sind Arbeitnehmer. Der Kläger sei in arbeitnehmertypischer Weise tätig gewesen, er habe weisungsgebundene und fremdbestimmte Arbeit in persönlicher Abhängigkeit durchgeführt. Nach diesem Urteil haben Crowdworker also die gleichen Rechte und Pflichten wie Arbeitnehmer - auch beim Auskunftsanspruch (Urteil vom 1.12.2020, Az. 9 AZR 102/20). Dies hat zur Überarbeitung einiger Geschäftsmodelle geführt.

Welcher Datenschutz gilt beim Auskunftsanspruch?


Beschäftigte dürfen die ihnen vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Informationen ausschließlich nutzen, um ihre Rechte nach dem Entgelttransparenzgesetz einzufordern. Es ist jedoch nicht erlaubt, personenbezogene Gehaltsangaben zu veröffentlichen oder an Dritte weiterzugeben. Keinesfalls sollten daher die Gehälter der Kollegen auf sozialen Medien diskutiert oder diese Informationen überall im Betrieb herumerzählt werden. Hier gelten die Regeln des Datenschutzes - und an die müssen sich auch Arbeitnehmer halten.

Was müssen Arbeitgeber mit mehr als 500 Beschäftigten beachten?


Das Entgelttransparenzgesetz hält private Arbeitgeber mit mehr als 500 Beschäftigten dazu an, regelmäßig zu überprüfen, ob in ihrem Unternehmen das Entgeltgleichheitsgebot beachtet wird. Mitarbeiter sind anschließend über die Ergebnisse zu informieren.

Auch hat das Entgelttransparenzgesetz eine Berichtspflicht eingeführt, der zufolge Arbeitgeber mit über 500 Beschäftigten regelmäßige Berichte zur Gleichstellung und Entgeltgleichheit von Frauen und Männern anfertigen müssen, sofern sie nach dem Handelsgesetzbuch (HGB) zur Anfertigung eines jährlichen Lageberichts verpflichtet sind. Die Berichte zur Gleichstellung sind dem Lagebericht beizufügen. Das Ganze ist im Bundesanzeiger zu veröffentlichen.

Wie lange dauert es, bis ich Antwort erhalte?


Wenn der Betrieb nicht an einen Tarifvertrag gebunden ist, können sich Arbeitgeber und Betriebsrat mit ihrer Antwort bis zu drei Monate Zeit lassen. Im Falle einer verspäteten Antwort muss der Chef im Falle eines Gerichtsverfahrens nachweisen können, dass es keine Benachteiligung aufgrund des Geschlechts gegeben hat. Bei tarifgebundenen Betrieben gibt es keine Frist.

Wie gehe ich vor, wenn ich weniger verdiene als die männlichen Kollegen?


Das Entgelttransparenzgesetz enthält dazu keine besonderen Ansprüche, etwa auf Anpassung des Arbeitslohns. Arbeitnehmerinnen können jedoch nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ihren Arbeitgeber auf eine Entschädigung wegen der unzulässigen Ungleichbehandlung sowie auf Zahlung der Lohndifferenz verklagen. Die durch den Auskunftsanspruch erhaltenen Informationen kann man jedoch auch außerhalb des Gerichtssaales nutzen - etwa in der nächsten Gehaltsverhandlung mit dem Chef.

Was sagen die Gerichte zur Entgeltgleichheit?


Vor dem Arbeitsgericht Berlin ging es um eine ZDF-Journalistin, die ihren Arbeitgeber auf eine Entschädigung wegen ungleicher Bezahlung mit männlichen Kollegen und auf Auskunft über deren Gehalt verklagt hatte. Das Gericht wies ihre Klage ab: Die Tätigkeiten der männlichen Kollegen seien mit derjenigen der Klägerin nicht ausreichend vergleichbar (Urteil vom 1.2.2017, Az. 56 Ca 5356/15).

Ein Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz betraf eine Schuhfabrik. Dort hatten Frauen etwa einen Euro Stundenlohn weniger bekommen als Männer – bei gleicher Tätigkeit. Das Gericht verurteilte den Arbeitgeber zur Nachzahlung des zu wenig gezahlten Arbeitslohns. Dabei ging es nicht nur um den Arbeitslohn selbst, sondern auch um das Urlaubsentgelt, das Weihnachtsgeld und gezahlte Prämien (Urteil vom 13.1.2016, Az. 4 Sa 616/15). Ein Schadensersatz für die Diskriminierung selbst wurde hier nicht fällig. Dafür hätte die klagende Mitarbeiterin eine Frist von zwei Monaten einhalten müssen, die jedoch abgelaufen war. Diese Frist beginnt zu dem Zeitpunkt, zu dem die Beschäftigte von ihrer Benachteiligung erfährt (§ 15 Abs. 4 AGG).

2021 entschied das Bundesarbeitsgericht im Fall einer Abteilungsleiterin. Diese hatte ihren Auskunftsanspruch geltend gemacht und erfahren, dass ihr Gehalt um acht Prozent unter dem durchschnittlichen Mittelwert des Gehalts der männlichen Abteilungsleiter des Unternehmens lag. Da der Arbeitgeber keine Angaben dazu machen konnte, wie eigentlich die Vergütungshöhe zustande komme, vermutete das Gericht hier eine Diskriminierung wegen des Geschlechts - und verurteilte den Betrieb zur Zahlung der Gehaltsdifferenz (21.1.2021, Az. 8 AZR 488/19).

Was gilt im öffentlichen Dienst?


Auch der Staat als Arbeitgeber muss den Auskunftsanspruch beachten. Dieser kann auch in Dienststellen des öffentlichen Dienstes mit mehr als 200 Beschäftigten geltend gemacht werden. Dies ist in § 16 des Entgelttransparenzgesetzes festgelegt.

Welche Möglichkeiten gibt es noch, um das Gehalt der Kollegen zu erfahren?


Neben der Auskunft nach dem Entgelttransparenzgesetz gibt es noch weitere Möglichkeiten, um Informationen über das Gehalt der Kollegen zu erhalten.

- Betriebsrat: Der Betriebsrat kann möglicherweise Informationen über Gehaltsstrukturen bereitstellen.

- Tarifverträge: Wenn ein Tarifvertrag existiert, sind die Gehälter meistens öffentlich und transparent für alle Arbeitnehmer geregelt.

- Interne Offenlegungspolitik: Einige Unternehmen praktizieren eine Politik der Gehaltstransparenz und teilen solche Informationen aktiv mit den Mitarbeitern.

- Gerichtliche Anordnung: In Fällen von rechtlichen Streitigkeiten, wie Diskriminierungsklagen, kann das Gericht die Offenlegung von Gehaltsdaten anordnen.

- Betriebsvereinbarungen: In manchen Unternehmen gibt es Betriebsvereinbarungen, die die Offenlegung von Gehaltsinformationen regeln.

Praxistipp zum Auskunftsanspruch über das Gehalt der Kollegen


Beschäftigte sollten sich mit ihrem Auskunftsersuchen bevorzugt an den Betriebsrat wenden. So findet der Arbeitgeber nicht unmittelbar ihre Identität heraus. Der Betriebsrat kann sie dazu beraten, welche Vergleichsgruppe angegeben werden muss. Ergibt sich eine maßgebliche Lohnungleichheit, sollte ein Fachanwalt für Arbeitsrecht hinzugezogen werden. Dieser kann die Erfolgsaussichten einer Klage im Einzelfall prüfen. Nicht vergessen sollte man auch die Zweimonats-Frist aus dem AGG für das Geltendmachen einer Entschädigung für eine Diskriminierung.

(Ma)


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 Ulf Matzen
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