Muss man im Bewerbungsgespräch immer die Wahrheit sagen?

10.06.2022, Redaktion Anwalt-Suchservice
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Bewerbungsgespräch,Lügen,Schummeln,Vorstrafen Im Vorstellungsgespräch muss man nicht immer die Wahrheit sagen. © - freepik

Endlich eine Einladung zu einem Bewerbungsgespräch! Aber: Der Lebenslauf ist nicht ganz stimmig. Wie ehrlich muss ich sein? Und: Darf ich lügen, wenn nach Vorstrafen, Krankheiten oder Kinderwunsch gefragt wird?

Lisa Löblich ist gelernte Friseurin und auf der Suche nach einer neuen Arbeitsstelle. In der Tageszeitung sieht sie eine Stellenausschreibung eines großen Friseursalons in Köln. "Das ist mein Traumjob", denkt sie. Sie reicht ihre Bewerbung ein und wird kurz darauf zum Bewerbungsgespräch eingeladen.
Lisa bereitet sich gewissenhaft darauf vor, doch hinsichtlich einer Sache ist sie unsicher: In ihrem letzten Vorstellungsgespräch bei einem anderen Salon wurde sie nach Vorstrafen gefragt. Sie war ehrlich und gab an, dass sie vor etwa einem Jahr wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu einer hohen Geldstrafe verurteilt worden war. Daraufhin bekam sie die Stelle nicht. Danach erzählte ihr ihre Freundin Sabine Schnuppe, dass sie glaube, auf solche Fragen müsse man im Bewerbungsgespräch gar nicht wahrheitsgemäß antworten. Lisa fragt sich nun, ob sie ihre Vorstrafe verschweigen soll.

Welche Fragen sind im Bewerbungsgespräch zulässig?


Eine arglistige Täuschung, etwa durch Verschweigen, führt grundsätzlich dazu, dass der jeweilige Vertragspartner den bereits abgeschlossenen Vertrag anfechten und sich davon wieder lösen kann. Dies ergibt sich aus § 123 Abs.1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Beim Arbeitsvertrag gibt es jedoch Besonderheiten. Bewerber sind nicht dazu verpflichtet, für sie ungünstige Umstände ungefragt zu offenbaren. Der künftige Arbeitgeber muss im Vorstellungsgespräch also nicht ohne Anlass über Vorstrafen oder Schwangerschaft aufgeklärt werden.

Grundsätzlich darf der Arbeitgeber nach Umständen fragen, die Einfluss auf das Arbeitsverhältnis haben. Er muss ein berechtigtes, schutzwürdiges Interesse an der Antwort haben, welches das Interesse des Bewerbers an der Geheimhaltung überwiegt. Ist dies der Fall, muss der Bewerber auch wahrheitsgemäß antworten. Allerdings dürfen die Fragen des Arbeitgebers auch nicht gegen die Diskriminierungsverbote aus dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz verstoßen. So darf niemand wegen seiner Hautfarbe, ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität benachteiligt werden.

Das bedeutet zum Beispiel: Die Frage nach Kinderwunsch oder Schwangerschaft ist unzulässig. Hier handelt es sich um eine Ungleichbehandlung wegen des Geschlechts. In diesem Fall hat der Bewerber oder die Bewerberin dann das Recht, zu lügen. Denn: Nur so lässt sich eine Diskriminierung vermeiden. Wer auf eine Frage hin schweigt oder gar auf die Unzulässigkeit der Frage hinweist, wird den Job nicht bekommen.

Fragen nach der Religions- oder Parteizugehörigkeit sind ebenfalls unzulässig.

Ob die Frage nach einer Schwerbehinderung zulässig ist, ist umstritten. Sie kann zulässig sein, wenn dies Einfluss auf den Arbeitsplatz oder das Arbeitsverhältnis hat, weil wegen der Behinderung zum Beispiel besondere Arbeitsschutzmaßnahmen oder Einrichtungen am Arbeitsplatz erforderlich sind.

Muss man im Bewerbungsgespräch Vorstrafen mitteilen?


Die Frage nach einer Vorstrafe oder nach Ermittlungsverfahren ist im Vorstellungsgespräch erlaubt, wenn diese bei objektiver Betrachtung berechtigt erscheint und unmittelbaren Bezug zum Arbeitsplatz oder zur dafür erforderlichen Eignung des Bewerbers hat. Dies hat das Bundesarbeitsgericht in einem Urteil vom 6.9.2012 (Az. 2 AZR 270/11) entschieden. Dieser Fall liegt zum Beispiel vor, wenn sich jemand auf eine Stelle als Kassierer bewirbt, der bereits wegen Diebstahl oder Unterschlagung vorbestraft ist. Eine Vorstrafe wegen Fahrens unter Alkoholeinfluss hätte in diesem Fall nichts mit dem Arbeitsverhältnis zu tun. Bei einem LKW-Fahrer würde dies natürlich anders aussehen.

Allerdings sollte sich die Frage dann auch konkret auf Vorstrafen im jeweiligen Bereich beziehen. In einem Fall vor dem Arbeitsgericht Bonn ging es um einen jungen Mann, der sich auf einen Ausbildungsplatz für Lagerlogistik beworben hatte. Beim Vorstellungsgespräch musste dieser ein Personalblatt ausfüllen, das auch nach "gerichtlichen Verurteilungen / schwebenden Verfahren" fragte. Der Bewerber kreuzte "nein" an, obwohl gegen ihn ein Ermittlungsverfahren wegen Raub lief. Die Lüge kam ans Licht, als er zu einer Haftstrafe verurteilt wurde und der Arbeitgeber löste den Arbeitsvertrag wegen arglistiger Täuschung auf.
Vor dem Arbeitsgericht bekam jedoch der Azubi recht. Der Arbeitgeber habe kein allgemeines Fragerecht nach Vorstrafen oder Ermittlungsverfahren aller Art. Er dürfe nur nach Umständen fragen, die Bezug zum konkreten Arbeitsplatz hätten. Hätte der Chef hier konkret nach Vermögensdelikten gefragt, wäre die Sache unter Umständen anders ausgegangen (Urteil vom 20.5.2020, Az. 5 Ca 83/20).

Im eingangs geschilderten Fall muss Lisa Löblich also nichts von ihrer Vorstrafe wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort erzählen, wenn die Friseurmeisterin im Vorstellungsgespräch nach Vorstrafen fragt. Eine arglistige Täuschung liegt in diesem Fall nicht vor und der Arbeitsvertrag kann nicht deswegen aufgelöst werden.

Darüber hinaus gilt: Auch über Strafen, die nicht im Führungszeugnis, also im Auszug aus dem Bundeszentralregister, auftauchen, oder die daraus bereits wieder gestrichen worden sind, müssen Bewerber keine Auskünfte geben. Sie dürfen sich in diesen Fällen auch als "nicht vorbestraft" bezeichnen.

Über welche Umstände müssen Bewerber den Arbeitgeber aufklären?


Unzulässig sind in den meisten Fällen auch Fragen über die Religion (außer bei kirchlichen Arbeitgebern), über Erkrankungen oder eine Gewerkschaftszugehörigkeit.

Aber: Arbeitnehmer sind auch bei für sie ungünstigen Fragen zur Aufklärung verpflichtet, wenn die jeweiligen Umstände eine Erfüllung von arbeitsvertraglichen Pflichten von vornherein unmöglich machen würden oder für den Arbeitsplatz von ausschlaggebender Bedeutung sind. Dies wäre zum Beispiel der Fall, wenn gesundheitliche Beschwerden die Arbeitstauglichkeit im entsprechenden Beruf maßgeblich beeinträchtigen können.

Praxistipp zum Bewerbungsgespräch


Grundsätzlich fährt man auch im Vorstellungsgespräch mit Ehrlichkeit am besten. Lügen darf man im Bewerbungsgespräch dann, wenn der Arbeitgeber unzulässige Fragen stellt. Ein Fachanwalt für Arbeitsrecht ist der beste Ansprechpartner für Fragen im Zusammenhang mit der Bewerbung oder einer möglichen Diskriminierung bei der Jobsuche.

(Bu)


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 Stephan Buch
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