Schenkungen trotz Erbvertrag?

16.12.2025, Autor: Herr Thorsten Post / Lesedauer ca. 4 Min. (10 mal gelesen)
Ein Erbvertrag hindert den Erblasser nicht grundsätzlich daran, zu Lebzeiten Vermögen zu übertragen; § 2287 BGB greift nur ein, wenn eine Schenkung ohne anerkennenswertes Eigeninteresse des Erblassers die berechtigte Erberwartung missbräuchlich aushöhlt. Ob ein Anspruch besteht, entscheidet sich stets anhand einer einzelfallbezogenen Interessenabwägung und nicht nach formalen Kriterien oder bloßen Korrekturwünschen des Erblassers.

Der Abschluss eines Erbvertrags vermittelt vielen Vertragserben das Gefühl rechtlicher Sicherheit. Die Erwartung ist, dass das im Erbvertrag Versprochene dem Zugriff Dritter entzogen ist und spätere Vermögensverschiebungen nicht mehr möglich sind. Diese Vorstellung ist jedoch nur teilweise zutreffend. Das Gesetz schützt zwar die berechtigte Erberwartung des Vertragserben, lässt dem Erblasser aber zugleich eine weitreichende Verfügungsfreiheit zu Lebzeiten. Genau in diesem Spannungsfeld bewegt sich § 2287 BGB.

Der Ausgangspunkt ist § 2286 BGB, der ausdrücklich klarstellt, dass der Erblasser auch nach Abschluss eines Erbvertrags grundsätzlich frei bleibt, über sein Vermögen unter Lebenden zu verfügen. Der Erbvertrag entfaltet keine dingliche Bindungswirkung. Vermögensgegenstände bleiben dem Zugriff des Erblassers entzogen erst mit dem Erbfall. Diese Freiheit ist bewusst weit gefasst, weil sie der Lebensrealität Rechnung trägt: Vermögensumschichtungen, Unterstützungsleistungen für Angehörige oder Vorsorgemaßnahmen im Alter sollen nicht durch eine starre Bindung blockiert werden.

§ 2287 BGB setzt dieser Freiheit jedoch dort eine Grenze, wo sie missbräuchlich eingesetzt wird. Die Vorschrift greift ein, wenn der Erblasser nach Abschluss des Erbvertrags eine Schenkung vornimmt, die den Vertragserben beeinträchtigt, ohne dass dieser Schenkung ein billigenswertes lebzeitiges Eigeninteresse des Erblassers zugrunde liegt. In solchen Fällen erhält der Vertragserbe nach dem Erbfall einen Bereicherungsanspruch gegen den Beschenkten.

Entscheidend ist zunächst, was als Schenkung gilt. Maßgeblich ist der allgemeine Schenkungsbegriff des § 516 BGB. Erfasst werden nicht nur klassische Geld- oder Grundstücksschenkungen, sondern auch gemischte Schenkungen, Schenkungen unter Auflage, Pflicht- und Anstandsschenkungen sowie sogenannte verschleierte Schenkungen. Auch ehebezogene Zuwendungen können unter § 2287 BGB fallen, wenn sie unentgeltlich erfolgen und nicht durch unterhaltsrechtliche oder güterrechtliche Verpflichtungen gedeckt sind. Nicht entscheidend ist die Bezeichnung des Rechtsgeschäfts, sondern dessen wirtschaftlicher Gehalt.

Auf subjektiver Ebene ist erforderlich, dass sich die Parteien über die Unentgeltlichkeit einig sind. Unentgeltlich ist eine Zuwendung nicht nur dann, wenn überhaupt keine Gegenleistung erfolgt, sondern auch dann, wenn Leistung und Gegenleistung in einem auffälligen Missverhältnis stehen. Zwar ist grundsätzlich auf die subjektive Bewertung der Parteien abzustellen, doch stößt diese dort an Grenzen, wo objektiv jede Äquivalenz fehlt. In solchen Fällen wird zumindest von einer teilweisen Unentgeltlichkeit auszugehen sein.

Die zentrale Hürde des § 2287 BGB liegt jedoch nicht im Begriff der Schenkung, sondern in der sogenannten Beeinträchtigungsabsicht. Nach heutiger Rechtsprechung ist diese nicht im Sinne eines gezielten Schädigungsvorsatzes zu verstehen. Es genügt nicht mehr, dass der Erblasser den Vertragserben bewusst „leer ausgehen lassen“ wollte. Vielmehr wird § 2287 BGB als Missbrauchskorrektiv verstanden. Entscheidend ist, ob der Schenkung ein anerkennenswertes lebzeitiges Eigeninteresse des Erblassers gegenübersteht oder ob sie sich als einseitige Aushöhlung der vertraglich begründeten Erberwartung darstellt.

Die Rechtsprechung stellt daher auf eine umfassende Interessenabwägung ab. Auf der einen Seite steht die vertraglich geschützte Erwartung des Vertragserben, auf der anderen Seite die Beweggründe des Erblassers für die Schenkung. Fehlt es an einem tragfähigen Eigeninteresse, muss der Vertragserbe die Beeinträchtigung nicht hinnehmen.

Als anerkennenswerte Eigeninteressen werden insbesondere Maßnahmen der Alters- und Pflegevorsorge angesehen. Die Übertragung von Vermögen gegen Pflegeleistungen, der Vorbehalt eines Nießbrauchs oder die Sicherung der eigenen Versorgung im Alter sind regelmäßig geeignet, eine Schenkung zu rechtfertigen. Gleiches gilt für sittlich gebotene Unterstützungsleistungen gegenüber Angehörigen oder für angemessene Anstandsschenkungen. Maßgeblich ist stets das Verhältnis der Zuwendung zur Vermögenslage des Erblassers und zu den übernommenen Verpflichtungen des Beschenkten.

Nicht ausreichend sind hingegen bloße Korrekturwünsche des Erblassers. Der Wunsch nach Gleichbehandlung von Kindern, die nachträgliche Einsicht, einzelne Vertragserben zu knapp bedacht zu haben, oder ein reiner Sinneswandel rechtfertigen keine lebzeitigen Vermögensverschiebungen zulasten des Vertragserben. Ebenso wenig genügt es, dass der Erblasser sich subjektiv für moralisch berechtigt hält, den Erbvertrag faktisch zu unterlaufen. Entscheidend ist eine objektive Bewertung der Interessenlage.

Von besonderer praktischer Bedeutung ist die Beweislast. Grundsätzlich trägt der Vertragserbe die Darlegungs- und Beweislast für sämtliche Anspruchsvoraussetzungen. Da er an dem schenkungsweisen Rechtsgeschäft regelmäßig nicht beteiligt war, hat die Rechtsprechung die Beweisanforderungen jedoch gelockert. Kann der Vertragserbe ein grobes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung darlegen, wird die Unentgeltlichkeit vermutet. In diesem Fall ist es Sache des Beschenkten, ein lebzeitiges Eigeninteresse des Erblassers substantiiert darzulegen.

Der Anspruch aus § 2287 BGB entsteht erst mit dem Erbfall. Zu Lebzeiten des Erblassers besteht weder ein Sicherungsrecht noch ein vorbeugender Unterlassungsanspruch. Auch einstweilige Maßnahmen scheiden aus. Diese zeitliche Begrenzung ist Ausdruck der gesetzgeberischen Entscheidung, die Verfügungsfreiheit des Erblassers bis zu seinem Tod nicht faktisch auszuhöhlen. Für Vertragserben bedeutet dies, dass sie erst nach Eintritt des Erbfalls aktiv werden können.

Inhaltlich richtet sich der Anspruch gegen den Beschenkten und ist auf Herausgabe des Geschenks gerichtet. Ist die Herausgabe unmöglich, etwa weil der Gegenstand veräußert wurde, ist Wertersatz zu leisten. Bei gemischten Schenkungen ist im Wege einer wertenden Gesamtbetrachtung zu entscheiden, ob ein Herausgabeanspruch Zug um Zug gegen Ausgleich der Gegenleistung oder lediglich ein Geldanspruch besteht. Ein weitergehender Schadensersatzanspruch ist ausgeschlossen.

Besondere Aufmerksamkeit verdient die Verjährung. Der Anspruch unterliegt der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren, die jedoch bereits mit dem Erbfall beginnt, unabhängig von einer Kenntnis des Vertragserben von der Schenkung. Diese kurze und kenntnisunabhängige Verjährung zwingt Vertragserben zu einer zügigen Prüfung möglicher Ansprüche.

Für die Beratungspraxis folgt daraus ein nüchternes Fazit. Ein Erbvertrag bietet keinen absoluten Schutz vor lebzeitigen Vermögensverschiebungen. § 2287 BGB greift nur in klaren Missbrauchsfällen ein. Vertragserben müssen darlegen können, dass die Schenkung nicht durch nachvollziehbare Eigeninteressen des Erblassers gedeckt war. Umgekehrt sind Erblasser nicht schutzlos gebunden, sondern können bei sachlich gerechtfertigten Motiven auch nach Abschluss eines Erbvertrags Vermögen übertragen. Die Grenze verläuft nicht entlang formaler Kriterien, sondern entlang einer sorgfältigen, einzelfallbezogenen Interessenabwägung.

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