Pflichtteil entziehen – wann ist das möglich?

30.12.2025, Autor: Herr Thorsten Post / Lesedauer ca. 4 Min. (8 mal gelesen)
Der Beitrag erklärt die Unterschiede zwischen Pflichtteilsentziehung und Pflichtteilsunwürdigkeit und ordnet beide Rechtsinstitute systematisch in das Pflichtteilsrecht ein. Anhand der Entscheidung des LG Ellwangen wird deutlich, dass Pflichtteilsansprüche nur bei klar benannten, nachweisbaren schweren Verfehlungen wirksam ausgeschlossen werden können.

Das Pflichtteilsrecht gehört zu den konfliktträchtigsten Bereichen des deutschen Erbrechts. Kaum ein Thema führt in der Praxis zu so vielen Fehlannahmen wie die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Abkömmling seinen Pflichtteil verlieren kann. Viele Erblasser gehen davon aus, dass gravierendes Fehlverhalten – etwa massive Drohungen, Gewalt oder der vollständige familiäre Bruch – automatisch zum Verlust des Pflichtteils führt. Genau diese Annahme ist rechtlich falsch. Das Urteil des Landgericht Ellwangen vom 29.08.2025 (Az. 3 O 315/24) verdeutlicht dies in besonderer Klarheit und bietet einen geeigneten Anlass, Pflichtteilsentziehung und Pflichtteilsunwürdigkeit systematisch und verständlich gegenüberzustellen.

Der Pflichtteil ist kein „moralischer Anspruch“, sondern ein gesetzlich garantierter Mindestanteil am Nachlass. Er sichert bestimmten nahen Angehörigen – insbesondere Kindern – auch dann eine Beteiligung, wenn sie durch Testament oder Erbvertrag enterbt wurden. Der Pflichtteil besteht grundsätzlich in einem Geldanspruch und beträgt die Hälfte des gesetzlichen Erbteils. Gerade weil der Pflichtteil eine Schutzfunktion hat, lässt das Gesetz seinen Entzug nur in eng begrenzten Ausnahmefällen zu.

In dem vom Landgericht Ellwangen entschiedenen Fall hatte die Erblasserin in einem notariellen Testament aus dem Jahr 1996 mehrere Kinder enterbt und erklärt, sie entziehe ihnen „soweit möglich“ den Pflichtteil wegen nicht näher beschriebener „Morddrohungen“ aus dem Jahr 1992. Zugleich hatte sie ausdrücklich festgehalten, dass sie diese Verfehlungen nicht genauer schildern wolle.

Nach dem Erbfall berief sich der Alleinerbe auf diese Pflichtteilsentziehung und verweigerte einer Schwester die Pflichtteilsauskunft. Die Klägerin machte hingegen geltend, der Pflichtteil sei ihr nicht wirksam entzogen worden, weil die testamentarische Begründung zu unbestimmt sei und der behauptete Entziehungsgrund nicht bewiesen werden könne.

Das Landgericht folgte dieser Argumentation. Es stellte klar, dass eine Pflichtteilsentziehung nach §§ 2333, 2336 BGB voraussetzt, dass der Erblasser den Entziehungsgrund in der letztwilligen Verfügung so konkret bezeichnet, dass ein überprüfbarer Kernsachverhalt erkennbar ist. Pauschale Formulierungen wie „Verfehlungen sind bekannt“ oder unspezifizierte Hinweise auf „Morddrohungen“ genügen nicht. Hinzu kam, dass der Erbe den behaupteten Entziehungsgrund nicht beweisen konnte. Das Gericht verpflichtete ihn daher zur umfassenden Pflichtteilsauskunft.

Die Entscheidung zeigt exemplarisch, dass selbst schwerwiegende Vorwürfe rechtlich ins Leere gehen können, wenn sie testamentarisch nicht sauber gefasst und später nicht belegbar sind.

Die Pflichtteilsentziehung ist in § 2333 BGB abschließend geregelt. Der Gesetzgeber hat bewusst nur wenige, besonders gravierende Fallgruppen zugelassen. Dazu gehören etwa schwere vorsätzliche Straftaten gegen den Erblasser oder ihm nahestehende Personen oder nachhaltige Verletzungen gesetzlicher Unterhaltspflichten.

Entscheidend ist dabei zweierlei. Erstens muss der Entziehungsgrund tatsächlich vorliegen. Zweitens muss er im Testament oder Erbvertrag konkret benannt werden (§ 2336 Abs. 2 BGB). Der Erblasser muss den Lebenssachverhalt so schildern, dass später überprüft werden kann, worauf er die Entziehung stützen wollte. Das dient dem Schutz des Pflichtteilsberechtigten und verhindert, dass Erben nachträglich andere, dem Erblasser vielleicht gar nicht maßgebliche Vorwürfe heranziehen.

Ein häufiger Fehler in der Praxis besteht darin, bewusst vage zu formulieren, um familiäre Konflikte „nicht noch einmal aufzuwärmen“. Juristisch ist das riskant. Die Entscheidung des LG Ellwangen zeigt deutlich, dass solche Rücksichtnahmen regelmäßig zulasten der Wirksamkeit der Pflichtteilsentziehung gehen.

Selbst wenn der Entziehungsgrund im Testament ausreichend konkret bezeichnet ist, bleibt ein weiteres erhebliches Risiko: die Beweislast. Nach § 2336 Abs. 3 BGB muss derjenige, der sich auf die Pflichtteilsentziehung beruft, den Entziehungsgrund beweisen. In vielen Fällen liegen die behaupteten Ereignisse Jahre oder Jahrzehnte zurück. Zeugen sind nicht mehr greifbar, Erinnerungen verblasst, Unterlagen fehlen. Das führt in der Praxis häufig dazu, dass Pflichtteilsentziehungen trotz erheblicher familiärer Zerwürfnisse scheitern.

Gerade für Erblasser ist dies ein zentraler Punkt. Wer eine Pflichtteilsentziehung in Erwägung zieht, muss nicht nur an die rechtliche Formulierung denken, sondern auch daran, ob der Sachverhalt später noch belegbar sein wird.

Von der Pflichtteilsentziehung zu unterscheiden ist die Pflichtteilsunwürdigkeit. Sie tritt nicht aufgrund einer testamentarischen Anordnung ein, sondern kraft Gesetzes. Die Voraussetzungen sind jedoch noch strenger. Pflichtteilsunwürdig ist nur, wer sich eines der in § 2339 BGB genannten besonders schweren Verhaltensweisen schuldig gemacht hat, etwa den Erblasser vorsätzlich getötet oder an der Errichtung oder Änderung einer letztwilligen Verfügung durch Gewalt oder Drohung gehindert hat.

Die Pflichtteilsunwürdigkeit greift automatisch, muss aber im Streitfall ebenfalls bewiesen werden. In der Praxis spielt sie eine deutlich geringere Rolle als oft angenommen. Bloße Drohungen, schwere familiäre Konflikte oder auch strafbares Verhalten unterhalb dieser Schwelle reichen regelmäßig nicht aus. Gerade deshalb ist sie kein taugliches „Auffanginstrument“, wenn eine Pflichtteilsentziehung scheitert.

Für Verbraucher ist vor allem die Abgrenzung entscheidend. Pflichtteilsentziehung und Pflichtteilsunwürdigkeit verfolgen unterschiedliche Ansätze und unterliegen unterschiedlichen Voraussetzungen. Beide Institute zeigen jedoch, dass der Gesetzgeber den Pflichtteil bewusst stark schützt. Der vollständige Verlust dieses Mindestanspruchs ist die absolute Ausnahme.

Das Urteil des LG Ellwangen macht deutlich, dass emotionale oder moralische Bewertungen für sich genommen keine rechtliche Wirkung entfalten. Entscheidend sind allein die gesetzlichen Tatbestände, ihre präzise Umsetzung und ihre spätere Beweisbarkeit.

Für Erblasser bedeutet dies, dass Pflichtteilsentziehungen sorgfältig vorbereitet und fachlich begleitet werden müssen. Pauschale Formulierungen oder bloße Verweise auf „bekannte Vorfälle“ sind gefährlich. Für Pflichtteilsberechtigte zeigt die Entscheidung, dass sich eine rechtliche Prüfung fast immer lohnt. Selbst bei schwerwiegenden Vorwürfen ist keineswegs selbstverständlich, dass der Pflichtteil wirksam entzogen wurde.

Das Urteil des Landgerichts Ellwangen unterstreicht mit Nachdruck, dass der Entzug des Pflichtteils rechtlich hohe Hürden hat. Weder massive Vorwürfe noch familiäre Zerwürfnisse führen automatisch zum Verlust des Pflichtteils. Wer den Pflichtteil entziehen will, muss gesetzliche Voraussetzungen, formelle Anforderungen und Beweisfragen gleichermaßen im Blick behalten. Andernfalls bleibt es beim gesetzlichen Mindestanspruch – selbst dann, wenn die familiäre Geschichte von schweren Konflikten geprägt ist.

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