Aufnahme Teilzeitberufstätigkeit steht dem Bezug einer Berufsunfähigkeitsrente nicht entgegen

08.11.2018, Autor: Frau Almuth Arendt-Boellert / Lesedauer ca. 2 Min. (180 mal gelesen)
Wenn ein Versicherter die Aufgaben nicht mehr erfüllen kann, die seine frühere Tätigkeit ausgemacht haben, liegt Berufsunfähigkeit vor. Dies kann auch gelten, wenn noch kleine Bereiche der früheren Tätigkeit fortgeführt werden können,

Wenn ein Versicherter die Aufgaben nicht mehr erfüllen kann, die seine frühere Tätigkeit ausgemacht haben, liegt Berufsunfähigkeit vor. Dies gilt auch, wenn noch kleine Bereiche seiner früheren Tätigkeit fortgeführt werden können, die Anforderungen der gesamten Tätigkeit aber aufgrund der physischen und psychischen Aufgaben sowie ihrer Kompliziertheit insgesamt zu hoch sind, so dass der Versicherte sie nicht mehr als Ganzes bewältigen kann.


Das OLG Stuttgart stellt in seinem Urteil klar, dass gerade nach einer langen und schweren Erkrankung ein Wiedereinstieg in den Beruf in Teilzeit für den Versicherten von Bedeutung ist.

Der Fall: Nach einem Jahr Arbeitsunfähigkeit Wiedereinstieg ins Berufsleben mit Teilzeit

Wegen Schwindel- und Lähmungserscheinungen aufgrund einer Hirnverletzung war die Klägerin mehr als ein Jahr lang arbeitsunfähig. Sie nahm in dieser Zeit mehrmals an Rehabilitationsmaßnahmen teil. Mit ihrem Arbeitgeber sprach sie ab, die wöchentliche Arbeitszeit ab dem 1. Juli 2009 auf 20 Stunden zu reduzieren (Teilzeit). Zuvor war sie in Vollzeit beschäftigt. Die im Frühjahr 2009 beantragte Berufsunfähigkeitsrente wollte die beklagte Versicherungsgesellschaft nicht leisten. Bei der Klägerin läge keine Berufsunfähigkeit von 50 Prozent gemäß der Versicherungsbedingungen vor. Außerdem müsse sie sich auf die neue Teilzeittätigkeit verweisen lassen.

Versicherungsbedingungen sehen Prognosezeitraum von 6 Monaten vor

Die Richter am OLG Stuttgart sahen das anders: Sie urteilten, dass im konkreten Fall Berufsunfähigkeit vorliege, weil es der Klägerin gemäß der Atteste hypothetisch ex ante betrachtet zum Zeitpunkt des Eintritts der Berufsunfähigkeit aller Voraussicht nach mindestens sechs Monate ununterbrochen zumindest 50 Prozent unmöglich war, die zuvor ausgeübte Tätigkeit auszuüben, wie sie ihr ohne Erkrankung nachgegangen war.

Gericht begründet Urteil mit leidensbedingter Arbeitszeitreduzierung.

Das Gericht legte für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit die Tätigkeit zugrunde, die zuletzt vor dem Eintritt der Berufsunfähigkeit ausgeübt worden war. Im vorliegenden Fall also, anders als von der Beklagten angenommen, die Arbeit als technische Assistentin in Vollzeit. Dass sie nunmehr in Teilzeit nur noch 20 Stunden pro Woche arbeite, sei der Krankheit geschuldet und damit leidensbedingt. Anhand der neue Stelle könne somit nicht die Berufsunfähigkeit beurteilt werden. Vielmehr sei entscheidend, wie die Erwerbstätigkeit der Klägerin in gesunden Tagen konkret ausgestaltet war. Diese Aufgaben, die in Vollzeit große Teile ihres Arbeitsalltags ausgemacht hatten, waren von der Klägerin nach ihrer Erkrankung wegen ihrer hohen Anforderungen und der Komplexität kaum mehr zu erfüllen. Sie konnte nunmehr lediglich ergänzende Zuarbeiten in Teilzeit ausführen, für die sie zudem mehr Zeit brauchte. Im Ergebnis lag deshalb eine Berufsunfähigkeit vor, denn die wesentlichen Teile ihrer vormaligen Aufgaben fielen in ihrer neuen Tätigkeit weg.

Konkrete Verweisungsklausel häufig vereinbart – hoher Bedeutung des Urteils in der Praxis

Anwälte müssen häufig erklären, warum eine Teilzeittätigkeit ausgeübt wird, wenn die Versicherung auf diese verweist. Sie kann jedenfalls diese neue Tätigkeit in Teilzeit nicht zur Grundlage der Berechnung der Berufsunfähigkeit machen, wenn diese Tätigkeit aufgrund der zur Berufsunfähigkeit führenden Krankheit aufgenommen wurde.