OLG Stuttgart: Dashcam-Aufzeichnung darf als Beweismittel dienen

24.05.2016, Autor: Herr Carsten Herrle / Lesedauer ca. 3 Min. (197 mal gelesen)
OLG Stuttgart, Beschl. v. 4. Mai 2016 – 4 Ss 543/15
Ist ein Dashcam-Video, das im Auto gemacht wurde und den Streitfall bzw. die Tat (in Teilen) aufzeichnet, vor Gericht als Beweismittel zulässig und auch verwertbar?

Ein sehr umstrittenes Thema, bei dem mehrere Verwaltungs-, Amts- und Landgerichte bislang unterschiedlich geurteilt haben. Nun gibt es endlich eine obergerichtliche Entscheidung, die wegweisend für künftige Zivil- und Strafgerichtsverfahren sein könnte.

Bei schweren Verstößen im Straßenverkehr kann nach dem Beschluss des OLG Stuttgart das Video unter Umständen verwertet werden. Datenschützer kritisieren die Entscheidung unter Verweis auf einen Verstoß gegen das Bundesdatenschutzgesetz.

Die bisherige Rechtsprechung war äußerst unterschiedlich:

Das AG München etwa stellt bei seiner Bejahung der Zulässigkeit darauf ab, dass die Gefilmten im Straßenverkehr lediglich „Beiwerk“ seien, ähnlich wie beim erlaubten Fotografieren von Menschen neben Gebäuden etc. (Urteil vom 6. Juni 2013 – 343 C 4445/13). Das gleiche Gericht sah ein Jahr später eine Verletzung von § 6b Abs. 1 Nr. 3 BDSG bzw. § 22 KUG; das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen überwiege die Interessen des Klägers (345 C 5551/14). Ebenso sah es das VG Arnsbach (vgl. https://www.ra-herrle.de/datenschutz-schwerer-videobeweises/). Das AG Nienburg stellte darauf ab, ob das Video anlassbezogen erstellt wurde, also anlässlich eines strafbaren Verhaltens (Urteil vom 20. Januar 2015 – 4 Ds 520 Js 39473/14). Bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen (allg. Persönlichkeitsrecht – Aufklärungsinteresse) urteilten die Gerichte ebenfalls unterschiedlich (für eine Verwertung z.B. AG Nürnberg, Urteil vom 8. Mai 2015 – 18 C 8938/14; dagegen z.B. LG Heilbronn, Urteil vom 3. Februar 2015 – 3 S 19/14).

OLG Stuttgart sieht nur geringen Eingriff in Persönlichkeitsrecht im öffentlichen Raum

Im konkreten Fall filmte ein Unbeteiligter zufällig einen anderen Autofahrer, welcher an einer roten Ampel, die länger als eine Sekunde „rot“ zeigte, weiterfuhr. Der Gefilmte widersprach der verhängten Geldbuße. Das AG Reutlingen bestätigte die Zahlungspflicht in Höhe von 200 Euro. Als Beweismittel diente das vom Zeugen gemachte Dashcam-Video. Die Rechtsbeschwerde des verurteilten Verkehrssünders beim OLG Stuttgart hatte keinen Erfolg.

Das OLG hielt zunächst § 6b Abs. 1 BDSG für anwendbar, wonach die Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit optisch-elektronischen Einrichtungen (Videoüberwachung) nur zulässig ist, „soweit sie zur Aufgabenerfüllung öffentlicher Stellen, zur Wahrnehmung des Hausrechts oder zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke erforderlich ist und keine Anhaltspunkte bestehen, dass schutzwürdige Interessen der Betroffenen überwiegen“. Allerdings habe das Amtsgericht keine Feststellungen zum Zweck des Filmens seitens des Zeugen getroffen, weshalb das „berechtigte Interesse“ nicht konkretisiert werden könne. Jedoch enthalte § 6b BDSG kein Beweisverwertungsverbot, weshalb die Frage offen bleiben könne. Vorzunehmen war daher eine Abwägung der widerstreitenden Interessen im Einzelfall.

Das OLG stellte zunächst einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Gefilmten fest. Bei der Abwägung berücksichtigte das Gericht zum einen „die hohe Bedeutung der Verkehrsüberwachung für die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs“ sowie die Tatsache, dass es sich um einen relativ schweren Verkehrsverstoß handelte. Zum anderen habe der Zeuge nicht zielgerichtet gefilmt und auch nicht im Auftrag des Staates. Auch sei die Eingriffsintensität vorliegend nicht sehr groß, zumal die Privat- und Intimsphäre nicht betroffen gewesen seien (sondern nur der Aufenthalt im öffentlichen Raum) und der Betroffene „allenfalls in Umrissen von hinten“ zu erkennen sei. Schließlich seien auch Dritte auf dem Videomaterial kaum zu erkennen. Insgesamt überwiege daher „unter Berücksichtigung der schutzwürdigen Belange des Betroffenen das allgemeine Interesse an der Effektivität der Verfolgung von erheblichem Fehlverhalten im Straßenverkehr“, so dass die Dashcam-Aufzeichnung verwertet werden durfte.


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